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Im Gartenteich vergnügen sich fünf Goldfische. Irgendwo zwischen den Büschen streift Polly herum. „Nein, die macht den Fischen nichts!“, beruhigt Klaus Versl. Polly sei überhaupt keine Kampf- und Raubkatze. Sondern ein echter Schmusetiger. Richtig um sie kümmern kann sich der 72-Jährige jedoch nicht mehr. Denn Versl sitzt aufgrund einer sturzbedingten Lähmung im Rollstuhl. Zum Glück ist Nadia Sazhina seit März 2017 bei ihm. Die füttert die Fische und gibt auch Polly zu fressen.

Seit 2014 nimmt Klaus Versl am Würzburger Projekt „Wohnen für Hilfe“ teil. Die Initiative von Kreis-Caritasverband und Katholischer Hochschulgemeinde (KHG) bringt Menschen, die Wohnraum haben und Unterstützung benötigen, mit Menschen zusammen, die eine Bleibe suchen und Zeit haben, zu helfen. Meist sind es ältere Männer und Frauen wie Klaus Versl, die Wohnraum zur Verfügung stellen. Aber auch Familien, die hier und da einen Babysitter bräuchten, können sich beteiligen. Bei den Helfenden handelt es sich oft, aber nicht immer um Studierende. Nadia Sazhina zum Beispiel leistet gerade einen Bundesfreiwilligendienst ab.

Weil sie als „Bufdi“ wenig verdient, ist die aus Russland stammende 39-Jährige froh, dass sie bei Klaus Versl umsonst wohnen kann. Sie hat ein Zimmer im ersten Stock und ein eigenes Bad. Küche und Wohnzimmer teilt sie sich mit Versl. Im Gegenzug für das mietfreie Wohnen erbringt Sazhina kleine Dienstleistungen für den Senior. „Vertraglich vereinbart sind 20 Stunden im Monat“, sagt sie. Doch Nadia Sazhina schreibt nicht minutengenau auf, was sie wann getan hat. Das Zusammenleben der beiden wurde sehr bald ein selbstverständliches Miteinander.

Meist frühstücken die zwei gemeinsam, jeden Abend wird zusammen gegessen. Wobei häufig jeder etwas anderes speist. „Ich liebe Suppen“, sagt Nadia Sazhina. Die gehen nicht so recht an Klaus Versl. Aber er ist auch nicht darauf angewiesen, das zu essen, was Nadia Sazhina kocht: „Ich bekomme ‚Essen auf Rädern’.“ Die Gerichte allerdings, die ihm täglich ins Haus geliefert werden, könnte er nur mit großer Mühe ordern. Klaus Versl hat nämlich nicht nur eine massive Körperbehinderung. Er sieht auch fast nichts mehr. Das rechte Auge ist ganz blind. Mit dem linken erkennt er die Dinge nur noch mühsam. Zum Lesen braucht er ein Spezialgerät.

Nadia Sazhina ist häufig sein „drittes und viertes Auge“. Immer, wenn das Menü für die neue Woche bestellt werden muss, setzt sie sich mit ihm in die Essecke und liest ihm vor, was alles bestellt werden kann. Die Auswahl ist groß. An jedem Tag gibt es vier verschiedene Gerichte, wahlweise kann aber auch etwas Veganes, eine kalte Speise wie Matjes oder ein Salatteller bestellt werden. Versl würde mindestens eine Stunde am Computer sitzen, um einen Überblick über den Plan zu bekommen. Mit Nadia Sazhina ist die Bestellung für die nächste Woche in 20 Minuten erledigt.

„Alles, was Nadia für mich tut, geschieht fünfmal schneller, als wenn ich es selbst tun müsste“, sagt Versl. Das gilt genauso fürs Wäschewaschen. Einige Sachen könnte er alleine überhaupt nicht mehr machen. Zum Beispiel Autofahren. Nadia Sazhina begleitet ihren Wohnpartner zum Einkaufen, einmal im Monat geht sie mit ihm zum Stammtisch des Blinden- und Sehbehindertenbundes.

Obwohl sie viel miteinander zu tun haben, gehen sich die zwei nicht auf die Nerven. Denn beide verstehen es, Rücksicht zu nehmen. „Kommt Nadia von ihrem Dienst nach Hause, lasse ich sie erst mal in Ruhe“, sagt Versl. Er weiß, wie anstrengend ist, was die gebürtige Sibirierin tut: Sazhina arbeitet im Körperbehindertenzentrum am Heuchelhof.

Sazhina ist die zweite Wohnpartnerin, die Klaus Versl durch das Projekt „Wohnen für Hilfe“ gewonnen hat. Zuvor lebte die Studentin Felicitas Graß zweieinhalb Jahre mit ihm zusammen. Die zog Ende 2016 wegen eines Praxissemesters aus Würzburg weg. Dass es so einfach sein würde, einen jungen Menschen mitwohnen zu lassen, hätte Klaus Versl vor vier Jahren nicht gedacht: „Ich hatte mir die Sache damals sehr lange überlegt.“

Zu jenem Zeitpunkt war Versl bereits ein Jahr lang alleine: Seine Frau starb 2013. Engere Familienmitglieder gibt es nicht in der Nähe. Hilfe erhält Versl nur durch eine Caritas-Sozialstation, die dreimal am Tag kommt. Mit einer der Schwestern sprach Versl über das Projekt. Sie riet ihm zu. Dergestalt ermutigt, wagte der Witwer den Schritt, eine Studentin ins Haus zu holen.

Heute kann Versl Menschen in ähnlichen Situationen nur raten, sich auf die Initiative einzulassen. Zumal es auch nicht so ist, dass man „die Katze im Sack kaufen“ müsste. Das Projekt wird von der Caritas begleitet. Bevor ein junger Mensch zu einem älteren einzieht, gibt es ein ausführliches Gespräch. Nur wenn sich herausstellt, dass die Wohnpartnerschaft mit großer Wahrscheinlichkeit funktionieren wird, wird tatsächlich vermittelt.

Pat Christ

Nähere Infos: www.wfh-wuerzburg.de

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